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"Der kleine Herr Friedemann" von Thomas Mann

Mir ist klar, dass diese Novelle nahezu jeder kennt. Ich will sie trotzdem empfehlen, weil sie es verdient hat, immer wieder gelesen zu werden. Vielleicht ist die letzte Begegnung schon viele Jahre her und Herr Friedemann erscheint heute vor dem dem gereiften Auge in einem ganz neuen Licht?

Die kleine, sentimental-warmherzige Geschichte gehört zu den frühen Erzählungen von Thomas Mann, der bei der Erstveröffentlichung gerade einmal 23 Jahre alte war. 

Der kleine Friedemann, bucklig und hinkend seit frühester Kindheit, hat sich sein Leben genügsam eingerichtet, bis er die Liebe entdeckt. Natürlich hofft jeder Leser, dass der vom Schicksal benachteiligte Friedemann sein Glück finden möge, doch insgeheim ist klar, dass er nur kläglich scheitern kann. Als seine Gefühle aufbegehren, überwindet er sich, seine Sehnsucht zu offenbaren. Er setzt alles auf eine Karte - und wird erniedrigt und zurückgewiesen.

Die Novelle ist ein Lehrstück für kompaktes, konzentriertes Erzählen. Allein die erste Szene, in der das Unglück, verursacht durch die betrunkene Amme, beschrieben wird, hat eine atemberaubende Dichte. Das eigentliche Ereignis ist lakonisch verwoben mit Informationen über die Familie, vollzieht sich auf engstem Raum und umgibt sich mit einer skurrilen Stimmung.

Wer immer sich handwerkliche Klarheit darüber schaffen will, wie eine Novelle aus einem Ereignis entspringt und zum Quell einer Handlung wird, sollte diese Geschichte zur Hand nehmen. Sie zeigt mit großer Klarheit, wie sich einerseits folgerichtig die Weichen für eine unterhaltsame Handlung stellen lassen und andererseits, welche Symbolkraft damit verknüpft werden kann. Aber das sind alles theoretische Betrachtungen. Die Geschichte ist schön, herzergreifend und unterhaltend. 


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